Sonntag, 12. Januar 2014

Gewaltfreie Kommunikation

Schon im Sommer hatte ich ein 3-tägiges Seminar zum Thema Gewaltfreie Kommunikation besucht, war jedoch damals zeitlich so eingepannt, dass ich nicht dazu gekommen bin, das hier zu schildern. Nun versuche ich, das nachzuholen und kann dabei gleich mal überprüfen, was noch hängen geblieben ist.

Was ist überhaupt Gewaltfreie Kommunikation? Von der Bezeichnung her könnte man vermuten, es ginge lediglich darum, in der zwischenmenschlichen Kommunikation im Berufs- oder Privatleben sein Gegenüber nicht physisch oder auch nur verbal anzugreifen. In Wahrheit steckt aber wesentlich mehr dahinter. Gewaltfreie Kommunikation (GfK) wurde von dem amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg entwickelt und ist ein komplettes Konzept oder Modell der Kommunikation, welches es ermöglichen soll, mit seinem Gegenüber in einen wertschätzenden  Dialog einzutreten, der Konflikte vermeidet und allen Seiten die Erfüllung ihrer Bedürfnisse ermöglicht. (Eine der Grundannahmen ist dabei, dass es keine sich gegenseitig widersprechenden oder ausschließenden Bedürfnisse der Menschen gibt, sondern dass lediglich die Strategien zur Erfüllung von Bedürfnissen miteinander in Konflikt stehen können. Der Satz "Ich will Deinen Porsche haben" formuliert demnach kein Bedürfnis, sondern lediglich eine Strategie zur Erfüllung eines grundlegenderen Bedürfnisses wie Mobilität, Anerkennung oder ähnliches.)  Auch Vorwürfe wie "Nie hörst Du mir zu" sind im Sinne der GfK nicht gewaltfrei. Ebensowenig ist es in diesem Sinne gewaltfrei, wenn ich mein Gegenüber zu einem Verhalten bringen will, das seinen eigenen Bedürfnissen oder Überzeugungen widerspricht.

Bevor jetzt jemand sagt, dass ein wertschätzender Austausch aber nur möglich sei, wenn auch das Gegenüber dazu bereit ist: Nun, zum einen vermindert GfK die Gefahr, dem Gegenüber eben diese Bereitschaft durch unbedachte oder verletzende Äußerungen zu nehmen, zum anderen kann GfK tatsächlich auch dann noch angewandt werden, wenn der Kommunikationspartner nicht nach ihren Regeln spielt. In dieser Hinsicht verfolgt die GfK in der Kommunikation eine ähnliche Philosophie wie das Aikido im Kampfsport.

Auf dieses Thema gekommen bin ich, da ich schon einmal in anderem Zusammenhang  von Gewaltfreier Kommunikation gehört hatte und dann auch noch einmal Prof. Melanie Joy, die Urheberin des Begriffs des Karnismus, in der Frage-Stunde nach ihrem Vortrag letztes Jahr im Kölner Stollwerck allen, die für eine vegane Lebensweise Zeugnis geben und werben wollen, empfahl, sich mit diesem Konzept zu beschäftigen. In der Tat kann man kaum glaubwürdig für eine auf Empathie und "Ahimsa", also Vermeidung unnötigen Leides und Schadens abzielende Lebensweise werben, wenn man es dabei an Empathie und Respekt für sein Gegenüber vermissen lässt.

Das Schöne an der GfK ist, dass sie auf nur wenigen, leicht zu merkenden Prinzipien aufbaut. Die eigentliche Schwierigkeit liegt dann eher darin, diese Prinzipien in der alltäglichen Kommunikation auch anzuwenden. Das geht nur mit entsprechender Einübung, so dass Seminare die GfK tatsächlich besser vermitteln können als die reine Lektüre zugehöriger Literatur. Die Literatur kann aber sicher dazu gut sein, dass Eingeübte noch einmal zu unterfüttern und zu vertiefen.

Ein paar der Prinzipien (wie ich sie verstanden habe) möchte ich kurz darlegen, da der geneigte Leser/die geneigte Leserin dadurch vielleicht eine bessere Vorstellung davon bekommt, was hinter der GfK steckt:
  • Die GfK kennt vier Schritte, die sich auch mal überschneiden können und je nach konkretem Fall auch nicht immer alle vollständig durchdekliniert werden müssen: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte.
  • Der erste Schritt, Beobachtung, ist wirklich nur im Sinne der reinen Beobachtung des Verhaltens der Mitmenschen zu verstehen. Es sollen keinerlei Annahmen über ihre Motivationen und auch keine Wertungen ihres Verhaltens vorgenommen werden. Gerade, wenn ich meine Beobachtungen meinem Gegenüber beschreibe, ist es wichtig, dass ich dabei auch jegliche wertende Sprache vermeide. Man sagt also nicht: "Dir ist mein Wunsch nach Ordnung ganz egal" oder "Hier sieht's wieder richtig schlampig aus", sondern lediglich: "Du hast Deine Socken auf dem Boden liegen lassen." (Dieser Punkt fällt mir persönlich gar nicht leicht, da ich den Großteil meines bisherigen Lebens immer mein Recht auf meine eigene Meinung vertreten und somit auch nie darauf geachtet habe, ob meine Sprache wertend ist oder nicht. Mit solchen Bewertungen kann man jedoch in der Tat bereits jeden weiteren Dialog blockieren.)
  • Nach der Beobachtung kommt als nächster Schritt das damit verbundene (negative) Gefühl. Dabei geht es darum, sich einfühlend mitzuteilen, bzw. je nach Fall auch einfühlend dem Gegenüber zuzuhören. Also etwa beim Beispiel mit den Socken: "Ich fühle mich hier mit den Socken auf dem Boden weniger wohl." Die Verantwortung für meine Gefühle liegt bei mir, daher soll man Sätze wie "Ich fühle mich schlecht, weil Du ..." vollkommen vermeiden.
  • Dann folgt das Bedürfnis. Auch für meine Bedürfnisse zeichne  ich selbst verantwortlich. Ich verlange also gerade nicht, dass mein Kommunikationspartner meine Bedürfnisse kennen oder mir von den Augen ablesen muss, sondern muss diese schon selber äußern. Dazu ist natürlich auch wichtig, dass ich mir selber über sie im Klaren bin. (Was, wie sich im Seminar bei einigen Übungen gezeigt hat, auch alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist.) Im  meinem zugegebenermaßen sehr einfachen und trivialen Sockenbeispiel wäre das also: "Ich habe das Bedürfnis nach Ordnung und Struktur in unserem Zuhause." In diesem Fall bietet es sich sogar an, Gefühl und Bedürfnis in einem Satz zusammenzufassen: "Ich fühle mich hier mit den Socken auf dem Boden weniger wohl, weil ich das Bedürfnis nach Ordnung und Struktur in unserem Zuhause habe."
  • Ganz zum Schluss kommt die Bitte, die sich jedoch auch auf den konkreten Fall beziehen muss und nicht auf vermeintliche pauschale Verhaltenmuster: "Ich bitte Dich, dass Du Deine Socken nach dem Tragen in den Wäschekorb  legst." (Und nicht etwa: "Ich bitte Dich, dass Du in Zukunft ordentlicher wirst.") Interessanterweise können derart vorgetragene Bitten von kaum einem Menschen abgeschlagen werden. Dennoch geht es bei der GfK nicht darum, die Mitmenschen in ein bestimmtes Verhalten hinein zu manipulieren, sondern um echte mitfühlende Kommunikation auf gleicher Augenhöhe. (Es gibt sicher auch immer einen gewissen, sehr kleinen Prozentsatz von Menschen, die zur Empathie nicht fähig sind und daher auch nicht die Bereitschaft aufbringen, ihr Verhalten mit den Bedürfnissen anderer Menschen in Einklang zu bringen. Da die Bitte in der Tat als solche gemeint sein soll, muss man auch das akzeptieren und dann wiederum sehen, wie man dennoch den eigenen Bedürfnissen gerecht werden kann, z.B. indem man solchen Menschen ausweicht.)
  • Ein ganz wichtiger Punkt bei der GfK neben der Empathie ist die Selbst-Empathie, d.h. man soll die eigenen Gefühle und Bedürfnisse nicht den anderen zuliebe unter den Teppich kehren, sondern man darf und soll sich selbst lieben und die eigenen Bedürfnisse ernst nehmen.
  • Damit im Zusammenhang steht, dass es bei der GfK nicht darum geht, eigenen Ärger und Frustration zu unterdrücken, denn auch das sind zulässige Gefühle. Dazu darf man in seinem Kopf das aufführen, was Marshall B. Rosenberg die "eigene Wolfsshow" nennt. Ich darf mir also durchaus auch erst mal denken, dass mein Gesprächspartner ein eigensüchtiger Vollidiot ist. Bevor ich dann aber etwas sage, halte ich mir noch einmal die vier Schritte vor Augen und mache mir z.B. klar, dass hinter dem aus meiner Sicht eigensüchtigen und idiotischen Verhalten des anderen ein Mensch mit eigenen Gefühlen und Bedürfnissen steht, die er lediglich mit einer Strategie umsetzt, die mit den Strategien zur Erfüllung meiner Bedürfnisse in Konflikt steht. Und dieser Konflikt wiederum lässt sich in aller Regel auflösen, wenn ich dem anderen in einem wertschätzenden Dialog meine Gefühle und Bedürfnisse aufzeige, ihn zu seinen Gefühlen und Bedürfnissen befrage und schließlich daraus eine Bitte oder einen Vorschlag ableite.
Einige Punkte in der GfK haben mich durchaus auch an fernöstliche Lebensphilosophien und -prinzipien erinnert, so etwa der Punkt, dass wahre Empathie nicht ohne Selbst-Empathie möglich ist. Auch in der buddhistischen Metta-Meditation weitet man den Kreis des Ein- und Mitfühlens ja sukzessive aus: von sich selbst, zu seinen nächsten Angehörigen, zu allen Menschen (einschließlich seiner "Feinde") bis hin zu allen fühlenden Wesen.
Der Punkt der Verantwortung für die eigenen Gefühle ist auch in dem buddhistischen Konzept der zweiten Pfeile des Leidens enthalten. (Das sind die, die man auf sich selbst abschießt, indem man von außen zugefügtes Leid, also die ersten Pfeile des Leidens, noch durch eigene Gedanken verstärkt.)

Alles in allem kann ich sagen, dass ich ebenfalls jedem Aktivisten und gerade auch jedem Tierrechtsaktivisten nur empfehlen kann, sich mit Gewaltfreier Kommunikation zu beschäftigen - am besten in einem Seminar. Es ist eigentlich die einzige Form der Kommunikation, mit der man glaubwürdig und damit effektiv für eine Lebensweise eintreten kann, die Gewalt an fühlenden Wesen minimieren will. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es gar nicht so leicht ist, das mustergültig in die Praxis umzusetzen. Allerdings hat mir das Seminar zumindest schon mehrmals geholfen, mich in Auseinandersetzungen und Diskussionen etwas zurück zu nehmen und mein Gegenüber weniger als Gegner denn als Mitmenschen mit eigenen Gefühlen und Bedürfnissen wahrzunehmen, ohne dabei die Leidenschaft für meinen Standpunkt zu verlieren. Ich glaube, dass mir gerade dadurch eher zugehört wurde, als wenn ich meinem Gegenüber lediglich meine Argumente "um die Ohren gehauen" hätte und damit zu beweisen versucht hätte, dass ich recht und der andere unrecht hatte.

Wer besonders viel Glück hat, findet in seiner Nähe ein Seminar, das von Herbert Warmbier durchgeführt wird, der auch das von mir besuchte Seminar leitete. Er hat den Ablauf mit Theorie und Übungen wunderbar vorbereitet und die Prinzipien wirklich gut vermittelt, auch wenn von den Teilnehmern durchaus kritische Bemerkungen oder zweifelnde Fragen kamen.  Ihm merkte man auch in solchen Diskussionen an, dass er die Prinzipien der GfK wirklich verinnerlicht hat und dass er sie nicht nur unterrichtet, sondern auch lebt.

1 Kommentar:

  1. Ein sehr interessantes Feld. Das Buch von Marshall B. Rosenberg steht schon lange in minem Regal. Leider habe ich es noch nicht ganz durch.

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