Sonntag, 24. September 2017

Denkaufgabe für Nicht-Veganer: Benenne das Merkmal!

Fragezeichen auf Spirale
Beim Binge-Watching von YouTube bin ich in einem Video von dem sehr sympathischen Paar "Those annoying Vegans" (also etwa "Diese nervenden Veganer") über eine Denkaufgabe an Nicht-Veganer gestoßen, die ich in der Form noch nicht kannte. Ich hatte ja schon einmal in einem vorherigen Beitrag kundgetan, dass für mich die ultimative ethische Begründung für den Veganismus die ist, dass man aus Persönlichkeiten keine Wurst machen sollte bzw. auch nicht durch seine Einkäufe den Auftrag dazu erteilen sollte, dass aus Persönlichkeiten Wurst gemacht wird.

Die erwähnte Denkaufgabe kommt nun als etwas philosophischere und theoretische Begründung daher, eignet sich aber gut, um Tierverbraucherinnen und Tierverbraucher einmal richtig in's Grübeln zu bringen. Ich versuche sie hier mal in meinen eigenen Worten wieder zu geben:

Benenne das Merkmal von Menschen, welches nicht-menschliche Tiere nicht aufweisen, und welches die Tötung von Menschen rechtfertigen würde, wenn sie es auch nicht aufwiesen.
Denn es ist ja so, dass auch Tierverbraucherinnen und Tierverbraucher zu nahezu hundert Prozent ebenfalls überzeugt sind, dass das Töten von Menschen im Normalfall nicht gerechtfertigt ist. Es gibt nur wenige Ausnahmefälle, in denen z.B. ein schwer leidender Mensch um Sterbehilfe bittet, wo man von einem gerechtfertigten Töten sprechen könnte und selbst diese sind -zumal unter religiösen Menschen- sehr umstritten. Und auch in Extremfällen, wo das Töten eines Menschen Voraussetzung für das Überleben eines anderen ist (es gibt da ja diesen bekannten Fall von Überlebenden eines Flugzeugabsturzes in den Anden), würden die weitaus meisten Ethiker sagen, dass zwar vielleicht ein Mensch sich für andere opfern darf, dass aber niemand einen anderen Menschen für sich opfern darf.

Trotzdem machen sich Tierverbraucherinnen oder Tierverbraucher kaum Gedanken darüber, was ihnen denn das Recht gibt, mit Tieren anders zu verfahren und sie nicht nur in extremen Ausnahmesituationen zur Sicherung des eigenen Überlebens oder zur Erlösung von unerträglichem Leiden zu töten oder töten zu lassen, sondern für so etwas ganz Banales und Verzichtbares wie ein bisschen Gaumenfreude, die man sich ja auch aus pflanzlichen Lebensmitteln verschaffen kann, nur vielleicht nicht genau mit dem Geschmack, der Textur und der Sensorik von einem Teil eines Tierkörpers.

Dann müsste es ja ein entscheidendes Merkmal geben, das diese unterschiedliche Behandlung von Tieren und Menschen in dieser für sie jeweils lebensentscheidenden Weise begründen kann. Und dieses Merkmal kann nicht nur einfach sein: "Ja das sind eben Tiere, und wir sind eben Menschen". Das wäre zirkulär, so wie wenn man sagte: "Du schuldest mir ein Bier, weil Du mir ein Bier schuldest". Es fehlt dann immer noch die wirkliche Begründung.

Interessanterweise wird wohl niemand ein solches entscheidendes Merkmal benennen können: Ja Tiere können z.B. nicht sprechen und Bücher schreiben, aber ist diese Fähigkeit von Menschen die entscheidende, warum wir ihnen ein Recht auf Leben zugestehen? Wohl kaum, denn es gibt natürlich auch Menschen, die aufgrund von Entwicklungsstörungen oder Gehirnschäden nicht sprechen und schon gar keine Bücher schreiben können. Und natürlich würden wir es dennoch nicht für gerechtfertigt halten, diese Menschen zu töten. Dies können also nicht die entscheidenden Merkmale zur unterschiedlichen Behandlung von Mensch und Tier sein.

Es sieht eher so aus, dass der Grund, warum wir anderen Menschen einen besonderen rechtlichen und moralischen Schutz zugestehen, ihre Empfindungsfähigkeit oder ihre Bewusstseinsfähigkeit ist, aber die weisen eben auch Tiere auf. Das war zwar noch bis in das letzte Jahrhundert hinein umstritten, inzwischen hat die neurologische Forschung jedoch so große Fortschritte gemacht, dass wir nun wissen, dass die Hirnareale, die bei uns für das Bewusstsein eine Rolle spielen, auch bei höher entwickelten Tieren einschließlich Fischen, Vögeln, Reptilien und anderen Säugetieren vorhanden sind. Akzeptiert man die Evolution als Tatsache (und das ist sie), dann evolvieren auch kognitive Fähigkeiten und dann haben sich die kognitiven Fähigkeiten von Menschen einschließlich ihrer Bewusstseins- und Empfindungsfähigkeit aus denen  nicht-menschlichen Tieren entwickelt, die nur graduell aber nicht grundsätzlich von unseren verschieden sind. Dies haben zahlreiche renommierte Kognitionsforscher, Neurophysiologen, -pharmakologen, -anatomen und -informatikern am 7. Juli 2012 in der Cambridge Declaration on Consciousness festgehalten. Bei der Unterzeichnung dieser Erklärung war übrigens auch der eigentlich fachfremde Professor Stephen Hawking anwesend.

Über eine interessante Reddit-Diskussion zum Thema konnte ich dann noch erfahren, dass diese Denkaufgabe unter Philsophen auch als "Argument aus Grenzfällen" (argument from marginal cases) bekannt ist und dass einer von ihnen, Daniel A. Dombrowski, ein ganzes Buch dazu verfasst hat: "Babies and Beasts: The Argument from Marginal Cases". Die Reddit-Diskussion ist zwar mit "'Benenne das Merkmal' versagt als Argument" betitelt, aber gleich die erste Antwort stellt eben klar, dass diese Aufgabe keineswegs als Argument versagt und dass bisher auch kein Philosoph ein Merkmal benennen konnte, welches diese extrem ungleiche Behandlung von Menschen einerseits und nicht-menschlichen Tieren andererseits (nämlich rechtlicher und moralischer Schutz des Lebens auf der einen Seite, und freie Verfügung über das Leben anderer für reine Genussfreuden auf der anderen) rechtfertigen könnte.

Wesentlich wahrscheinlicher ist doch, dass Menschen verdeckte Eigeninteressen ("Fleisch schmeckt mir") haben, die sie in ihr Urteil darüber, was akzeptabel ist und was nicht, einfließen lassen. Nur sind Eigeninteressen eben kein ethisches Argument und stehen im Gegenteil einer unvoreingenommenen ethischen Betrachtungsweise meist im Wege. Das hier vorgebrachte Argument zeigt letztlich die ethische Inkonsistenz des Handelns der meisten Menschen, ganz ähnlich wie auch Melanie Joy es mit dem Begriff des "Karnismus" gezeigt hat, indem sie darauf hinwies, dass Menschen sogar beim Umgang mit bewusstseinsfähigen Tieren große, durch nichts gerechtfertigte Unterschiede machen: Die einen, nämlich Haustiere wie Hunde und Katzen, werden als schützens- und liebenswerte Persönlichkeiten anerkannt, während andere wie Schweine, Rinder und Hühner als reine Produktionsfaktoren für Fleisch, Milch und Eier behandelt werden.

Also falls Sie, werte Leserin, werter Leser, doch das entscheidende Merkmal benennen können, lassen Sie es mich bitte wissen. Ihnen wäre dann etwas gelungen, was keinem professionellen Ethiker bisher gelungen ist.

2 Kommentare:

  1. Der Punkt ist, dasss solche ethischen Überlegungen nicht das Entscheidende sind beim Thema "esse ich Tiere oder nicht". Wir machen es, weil wir es können und weil es schmeckt. So einfach.

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    1. Wenn es legal wäre, Waisenkinder zu töten, würden wir sie also auch essen? Sie könnten mit Sicherheit ja genauso schmackhaft zubereitet werden wie ein Spanferkel.

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