Sonntag, 17. März 2013

Ist "Veggies Wohl" vegan oder (konsequent) vegetarisch?

Ich gebe es zu: Ich habe diesem Blog einen Namen mit dem Sammelbegriff "Veggie" gegeben, um mich nicht eindeutig auf die Seite eines Lagers stellen zu müssen. In der Praxis lebe ich zwar so weit wie möglich vegan, kaufe und esse keine Produkte tierischer Herkunft, kaufe Kleidung und Schuhe nur ohne Leder und Wolle und versuche auch bei Kosmetika und Putzmitteln alles zu vermeiden, was an Tieren getestet wurde. Auch meine ich, dass man auch als "Nur"-Vegetarier nur konsequent ist, wenn man auch Eier und Milchprodukte aus dem Speiseplan streicht. Zwar sind das keine Teile vom toten Tier, aber auch für deren Produktion werden Tiere getötet. (Bei der Eierproduktion landen die dafür nicht verwendbaren männlichen Kücken direkt nach dem Schlüpfen lebendig im Schredder. Für die Milchproduktion werden völlig überzüchtete Kühe jedes Jahr geschwängert und nach der Geburt sofort von ihrem Nachwuchs getrennt, was für höher entwickelte Säugetiere meines Erachtens eigentlich noch grausamer ist, als sie gleich per Bolzenschuss ums Leben zu bringen. Der steht dann aber auch nach diesem Martyrium noch am Ende eines kurzen und traurigen Kuhlebens von vielleicht gerade mal 4 Jahren. Auch hier gibt es ja für den männlichen Nachwuchs keine direkte Verwendung, so dass er innerhalb von drei Monaten turbogemästet und dann noch vor der Geschlechtsreife ums Leben gebracht wird.)

Andererseits bezweifle ich, dass ich den Ansprüchen hundertprozentiger ethischer Veganer genüge. Denn ich muss anerkennen, dass ich in einer Welt lebe, die es denen, die Tierleid und Tierausbeutung vermeiden wollen, sehr schwer macht. So kann ich zwar auf die Zutatenliste von Brötchen im Supermarktregal schauen (die ich aus genau diesem Grund nicht beim Bäcker kaufe), aber ich kann nicht überprüfen, ob die Brötchen garantiert nicht auf mit Butterreinfett eingefetteten Backblechen gebacken wurden. Ich kann verstehen, dass manche potenzielle Veganerinnen und Veganer sich mit Grausen abwenden, wenn sie mitbekommen, dass manche Verfechter und Verfechterinnen der reinen veganen Lehre sich an der Frage festbeißen, ob die Bakterien im Soja-Joghurt einer bestimmten Marke vielleicht auf Kulturen angesetzt wurden, die Milchbestandteile enthalten. (Es ist wohl inzwischen nicht mehr so. Aber selbst wenn es so wäre, würde wahrscheinlich allein durch den Kauf von Soja-Joghurt statt von Milchjoghurt wohl 99,99 Prozent weniger Kuhmilch verwendet, so dass diese ganze Diskussion unter einem pragmatischen Gesichtspunkt eher abgehoben und auch nicht mehr wirklich am Wohl der Mitwesen orientiert ist.)

Und gerade weil ich ein naturalistisches Weltbild ohne außersinnlichen Hokuspokus pflege und die Evolution als Tatsache anerkenne, meine ich auch, dass die Einteilung zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren etwas zu grob ist und wir es bei allen lebenden Tieren mit einem Kontinuum kognitiver Fähigkeiten zu tun haben. Kühe, Schweine, Schafe und Kaninchen stehen dem Menschen aus evolutionärer Sicht sehr nahe und haben wie dieser ein hochentwickeltes Nervensystem, dass sie Schmerzen ähnlich wie uns unseres empfinden lassen dürfte und sie zudem zu eigenen Intentionen befähigt. Vögel und und die meisten Fische sind mit dem Menschen schon etwas weitläufiger verwandt, aber auch sie haben zentrale Nervensysteme verschiedener Komplexität, die dementsprechend zu verschiedenen Graden von Bewusstsein und Leidensfähigkeit führen. Dabei ist die verwandtschaftliche Nähe zum Tier "Mensch" auch gar nicht das Entscheidende, denn die Evolution hat kein Ziel und bringt immer wieder in verschiedenen Entwicklungszweigen überraschend hohe kognitive Fähigkeiten hervor. Bekanntestes Beispiel dürfte der Krake sein, der sich nicht einmal zu den Wirbeltieren zählen darf aber in punkto Intelligenz sogar die meisten Säugetierarten aussticht, auch wenn sein zentrales Nervensystem ganz anders als bei den Wirbeltieren organisiert ist. Andererseits ist das Oberschlundganglion von Bettmilben vergleichsweise einfach aufgebaut und dürfte ihrer Leidensfähigkeit ziemlich eng umrissene Grenzen setzen. Da sie zudem in meinem Lebensraum wildern und mir dort unter Umständen Probleme bereiten können, nehme ich auf sie keine besondere Rücksicht und wasche meine Bettwäsche bei für sie meist tödlichen 60 Grad Celsius. Ebensowenig würde ich zögern, einem Bandwurm in meinem Gedärm mit den geeigneten Mitteln den Garaus zu machen. Es ergäbe keinen Sinn, zur Vermeidung der Schädigung von Tieren Schaden für das menschliche Tier in Kauf zu nehmen, das man selbst ist.

Andererseits kann ich mir - gerade weil auch der Mensch ein Tier ist - sehr wohl auch Symbiosen zwischen Menschen und nicht-menschlichen Tieren vorstellen wie es sie eben auch zwischen verschiedenen Tierarten oder zwischen Tier- und Planzenarten gibt, und würde in solchen Fällen nicht von "Ausbeutung" sprechen. So spricht vieles dafür, dass die wilden Vorfahren von Hunden und Katzen die Nähe des Menschen bewusst gesucht haben, weil das auch für sie einen Nutzen wie die wesentlich sicherere Versorgung mit Nahrung versprach. (Das rechtfertigt umgekehrt natürlich in keinster Weise Misshandlung oder tierquälerische Haltung von Tieren, die mit Menschen in einer Gemeinschaft leben.) Ich hätte auch keine ethischen Einwände dagegen, dass Menschen in ökologisch bewusster Weise Honigbienen halten und züchten um die Bestäubung von Pflanzen da zu ermöglichen, wo Wildbienen durch die Eingriffe des Menschen bereits zu stark zurückgedrängt oder dezimiert wurden. (Leider hat man ja die wilde Honigbiene aus reiner orientierung am wirtschaftlichen Ertrag ausgerottet und auch andere Wildbienenarten werden durch die von Menschen vorangetriebene Verarmung der Natur immer weiter in Bedrängnis gebracht.) Das wäre zwar eine "Ausbeutung" der Bienen, aber dennoch wäre damit ja kein echtes Leid für sie verbunden und der Nutzen für die ökologische Vielfalt läge auf der Hand.

Daher finde ich den Sammelbegriff "Veggie" einfach gut, um alle Menschen zusammenzufassen, die sich überhaupt um ein Bewusstsein dessen bemühen, was unsere Konsumgewohnheiten für Tier und Umwelt bedeuten. Wie gesagt glaube ich, dass "Ovo-", "Lacto-" oder "Ovo-Lacto-Vegetarier" ein Widerspruch in sich ist und man als konsequenter Vegetarier weder Eier noch Milchprodukte konsumieren sollte. Doch auch wenn nicht alle konsequent sein wollen oder können, kann die vegetarisch-vegane Idee (eben die "Veggie"-Idee) meiner Meinung nach nur dann erfolgreich sein, wenn alle Menschen mit diesem Bewusstsein solidarisch für sie eintreten. Und weil ich z.B. sehe, dass der Vegetarierbund Deutschland sehr erfolgreiche Arbeit zur Förderung dieser Idee leistet (z.B. mit dem Lobbying für die Einführung einer staatlich anerkannten Ausbildung zum vegetarischen Koch), bin ich ihm beigetreten. Ich würde mir wünschen, dass auch möglichst viele andere Veganer das tun, so dass die Interessen von Veganern dort nie unterrepräsentiert oder übergangen werden können.