Sonntag, 18. August 2013

Wikipedia verbreitet lebensgefährliche Desinformation

Die Aussage, wonach eine halbe Wahrheit eine ganze Lüge ist, wird dem britischen Staatsmann, Premiermminister und Autor Benjamin Disraeli zugeschrieben. Leider ist auch das Internet voll mit Quellen solcher Lügen und manchmal betrifft dies sogar Plattformen wie Wikipedia, die durch Nutzung von Schwarmintelligenz eigentlich zu den besseren Informationsquellen werden sollten.

Wenn man sich den Wikipedia-Eintrag zum Stichwort Arteriosklerose durchliest, findet man dort (Stand 17.8.2013) bemerkenswerte Aussagen:
"Der Zusammenhang zwischen Cholesterin, LDL-Cholesterin,  Aufnahme von tierischen Fetten mit der Nahrung und der Schwere und den Folgen der Arteriosklerose ist ungeklärt und umstritten und sie (sic) scheint weniger bedeutend zu sein, als bisher angenommen. [5]
 Es gibt jedoch Indizien, die nahelegen, dass die Qualität der Ernährung und die Zusammenstellung eine Rolle spielen, wobei eine mediterrane einer fettarmen überlegen zu sein scheint. [6]"
 Und weiter unten:
"Die einfach ungesättigte Ölsäure, reichlich vorhanden in Oliven- und Rapsöl, senkt das LDL-Cholesterin ohne das nützliche HDL-Cholesterin zu verändern."
Was muss der geneigte Leser dieser Sätze wohl für Schlussfolgerungen ziehen, insbesondere wenn er vielleicht schon einen Herzinfarkt hatte und einen oder mehrere Bypässe gelegt bekam?

a) Kümmere Dich nicht im Deinen Cholesterinwert. Das ist eh alles "ungeklärt".
b) Kümmere Dich nicht um den Fettgehalt in Deiner Nahrung. Mediterran ist besser und jeder weiß ja, dass dazu jede Menge Olivenöl gehört.
c) Ölsäure ist super für Dich. Da sie reichlich in Olivenöl vorhanden ist, kannst Du davon gar nicht genug bekommen.

Nun hat aber Dr. Esselstyn bereits gezeigt, dass Herzpatienten, die sich vollwertig pflanzlich und ohne Öl ernähren, ihre Herzkrankheit stoppen und Arteriosklerose sogar wieder rückgängig machen können. Auch wer noch keine koronare Herzerkrankung hat, kann mit einer solchen Ernährung vermeiden, jemals ein Herzpatient zu werden. Dies ist der einzige bekannte Ansatz, der das nachgewiesenermaßen und reproduzierbar vermag. Nur bei einer solchen Ernährung sinkt der Gesamtcholesterinwert (außer bei ganz seltenen genetischen Dispositionen) unter 150 mg/dL und der LDL-Wert unter 80 mg/dL. Es ist kein Fall dokumentiert, in dem jemand mit solchen Werten einen Herzinfarkt erlitten hätte, auch nicht bei groß angelegten prospektiven Bevölkerungsstudien wie der Framingham Heart Study.

Geradezu tragikomisch ist es, wenn man sich die angegebenen Quellen für die Aussagen im Artikel ansieht. Für die erste mit dem angeblich unklaren Zusammenhang zwischen Cholesterin und Arteriosklerose wird "Gerhard Thews: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen: 140 Tabellen. Wiss. Verlag-Ges., Stuttgart 2007: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen: 140 Tabellen. Wiss. Verlag-Ges., Stuttgart 2007" angeführt. Ohne Seitenangabe. Soll man sich zur Prüfung dieser Aussage nun also für fast 70 Euro dieses Anatomiebuch kaufen und dann selber schauen, ob man unter den 140 Tabellen eine findet, die belegt, dass der Zusammenhang zwischen Cholesterinwerten und der Aufnahme tierischer (und damit vor allen Dingen gesättigter) Fette einerseits und der Schwere von Arteriosklerose andererseits "umstritten" oder "unklar" ist?

Für die zweite Aussage von der angeblichen Überlegenheit einer mediterranen gegenüber einer fettarmen Ernährung wird als Quelle "J. O. Gebbers: Atherosclerosis, cholesterol, nutrition, and statins – a critical review. (Atherosklerose, Cholesterin, Ernährung und Statine – eine kritische Übersicht). In: Ger Med Sci. 2007;5;Doc04" angegeben, immerhin mit einem Link auf die Online-Version. Die einzige Stelle in dieser Studie, in der überhaupt kritisch auf eine fettarme Ernährung eingegangen wird, nennt selbst als Quelle die spanische Studie mit dem Titel "Primary Prevention of Cardiovascular Disease with a Mediterranean Diet" von Estruch et al., die am 25. Februar 2013 im New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlicht wurde. Tatsächlich wurde diese Studie sogar in der Ärztezeitung mit der Schlagzeile "Mittelmeerküche schlägt fettarme Kost" zusammengefasst und auch sonst in der Tagespresse in diesem Sinne zitiert.

Was aber hat diese Studie wirklich gezeigt? Bei ihr wurden die Versuchspersonen, die Diabetes II oder einen Risikofaktor für Schlaganfall und Herzinfarkt hatten in drei gleich große Gruppen eingeteilt. Eine sollte zu viel Gemüse und Hülsenfrüchten täglich Olivenöl einnehmen, eine sollte viel Gemüse und Hülsenfrüchte durch Nüsse ergänzen, während die dritte  "Kontrollgruppe" lediglich auf rotes Fleisch verzichten sollte, was den Fettanteil ihrer ingesamt aufgenommenen Nahrungsenergie von 39 Prozent auf gerade einmal 37 Prozent senkte. Das ist alles andere als fettarm. Wie schon an anderer Stelle geschrieben kommt man bei einer vollwertigen pflanzlichen Ernährung ohne Öl auf einen Fettanteil von gerade einmal 10 Prozent. Das wäre fettarm!

Es ist auch nicht klar, wie sicher gestellt wurde, dass die drei Gruppen tatsächlich gleiche statistische Krankheitsrisiken aufwiesen. Jedenfalls hatten sich nach fünf Jahren bei der Olivenöl-Gruppe 96 kardiovaskuläre Ereignisse gezeigt, bei der Nüsse-Gruppe 83 und bei der Kontrollgruppe 109.

Das war's. Das ist das ganze tolle Ergebnis der mediterranen Ernährung, womit aber nebenbei auf jeden Fall noch klar wurde, der Konsum ganzer Nüsse allemal besser sein dürfte als der von Olivenöl.

Dr. Esselstyn hat aber bereits gezeigt, dass eine vierte Kontrollgruppe mit einer pflanzlichen vollwertigen Ernährung ohne Öle nach allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit wohl überhaupt keine kardiovaskulären Ereignisse   mehr gehabt hätte. So hat er das Ergebnis dieser Studie gegenüber der New York Times denn auch folgerichtig wie folgt zusammengefasst:
"Alles, was die Studie gezeigt hat, war, dass sowohl die mediterrane Ernährung als auch die fürchterliche Ernährung der Kontrollgruppe in der Lage waren, bei Menschen Krankheiten hervorzurufen, die sie vorher nicht hatten."

Nun noch zu der dritten von mir zitierten Aussage im Wikipedia-Artikel zu der angeblich cholesterinsenkenden Wirkung der im Olivenöl reichlich vorhandenen Ölsäure. Nun, erstens enthält Olivenöl nicht nur Ölsäure, und zweitens gibt es keine Studie, die tatsächlich zeigt, dass allein die Einnahme von Olivenöl oder Ölsäure die Cholesterinwerte verbessern könnte. Dementsprechend kann der Artikel hier auch gar keine Quelle nennen. Es gibt lediglich einige Studien, die eine Verbesserung der Cholesterinwerte nachweisen, wenn man die gesättigten Fette in der Nahrung, wie sie vor allem in tierischen Produkten wie Fleisch und Butter vorkommen, durch einfach und mehrfach ungesättigte Fette ersetzt, die nun mal hauptsächlich pflanzlichen Ursprung sind. (Siehe z.B. diese Stellungnahme des "Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies" der European Food Safety Agency, EFSA.) Man kann also sagen, dass pflanzliche Fette besser sind als tierische, dass es aber dennoch am besten ist, sowohl auf tierische Fette, als auch auf zugesetzte pflanzliche Fette in der Nahrung zu verzichten. Eine Studie, die man an dieser Stelle hätte zitieren können, nämlich Oakley FR, Sanders TA, Miller GJ. Am J Clin Nutr. 1998 Dec;68(6):1202-7, hat gezeigt, dass Ölsäure aus Sonnenblumenöl ebenso zu einer Aktivierung von Faktor VII und damit zur Verklumpung roter Blutkörperchen führt wie Butter. Aber der Hinweis auf diese Studie wäre wohl der offensichtlichen Absicht eines oder mehrerer Wikipedia-Autoren zuwidergelaufen, Oliven- und Sonnenblumenöl entgegen der Faktenlage als heilsam gegen Arteriosklerose darzustellen.

Warum stehen also in der Wikipedia irreführende Aussagen, die sogar noch Herzkranke dazu ermuntern könnten, ihrem Essen reichlich Olivenöl zuzufügen und damit ihre Krankheit noch zu fördern? Ich weiß es nicht, kann mir aber auch nicht vorstellen, dass sich da jemand als Autor hervorgetan hat, der es einfach nur nicht besser weiß. Auch die völlig verqueren Quellenangaben sprechen dagegen, denn offenbar soll mit ihnen ja eine nicht gegebene Seriösität vorgespiegelt werden. Die Autorenschaft an einem Wikipedia-Artikel setzt ja für gewöhnlich ein gewisses Interesse an dem jeweiligen Thema und damit auch eine gewisse Grundkenntnis voraus. Vielleicht muss man hier wieder die schöne lateinische Frage stellen: "Cui bono", also zu wessen Nutzen ist die Verbreitung solcher Fehlinformationen? Mir würden da schon ein paar einfallen. Große Lebensmittelkonzerne, deren Oliven- und Sonneblumenölmarken in den Regalen praktisch aller Supermärkte dieser Republik stehen. Solche Konzerne hätten auch die Mittel, PR-Agenturen zu beauftragen, die wiederum ein paar Auftragsschreiber mit der wohlwollenden Darstellung von Pflanzenölen in Wikipedia-Artikeln beschäftigen könnten.

Um auch gleich dem Einwand vorzubeugen, dass Wikipedia ja eine offene Plattform sei und ich ja nun meinen Beitrag leisten könne, um dort enthaltene Fehlinformationen zu korrigieren: Nein, ich muss in der Woche meine Brötchen verdienen und kann meine Zeit daher leider nicht damit verbringen, in irgendwelche Editierschlachten gegen bezahlte Auftragsschreiber zu ziehen.

Mit diesem Eintrag hier möchte ich lediglich klarmachen, dass auch Wikipedia mit sehr kritischen Augen gelesen werden muss und keinesfalls als objektive Informationsquelle betrachtet werden darf. Der Artikel zu Arteriosklerose gehört jedenfalls eher in die Rubrik "Desinformation".
 

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